… zur Landtagswahl will ich jetzt doch ein paar Gedanken zu Papier bringen. Ich musste mich dieses Mal nicht einmal selbst bremsen, in der Emotion der ersten Stunden irgendetwas zu verfassen, was ich später gegebenenfalls wieder hätte löschen müssen. Nein, ich war so platt und getroffen, dass ich gar nichts hätte schreiben können. Vielleicht gleich zu Beginn, die 9,7 % und insbesondere das Ergebnis in München haben mich viel mehr getroffen, als ich es für möglich gehalten hätte. Ich kann mich noch an meine Tränen erinnen, als Gore irgendwann seine Niederlage gegen Bush eingestehen musste. Aber damals war ich Anfang 20, den Vereinigten Staaten in innigster Zuneigung verbunden, und überhaupt noch wenig vertraut mit wirklichen Lebenskatastrophen (das übrigens bis heute). Das war also richtig schlimm. Als Schröder, den ich – das sage ich noch heute – immer gerne mochte, 2005 so knapp gegen Merkel verlor, war ich wütend. Wütend, weil es nach einer furiosen Aufholjagd trotzdem nicht gereicht hat. Wütend auch, weil Schröder und die SPD gefühlt den gesamten öffentlichen Rundfunk gegen sich hatten. Ob Letzteres damals tatsächlich so war, kann ich heute nicht mehr mit Bestimmtheit sagen, aber ich habe es so in Erinnerung. Diese Wut verging aber schneller als das Elend rund um den von mir heiß geliebten Al Gore. Wo also reiht sich diese Niederlage ein?
Sicher ganz weit oben, denn sie fühlt sich so niederschmetternd an, existenzbedrohend, die eigene Tätigkeit und die aller Genossinnen und Genossen so rundherum in Frage stellend. Gleich zu Beginn: Klar standen die Münchner SPD und auch ich persönlich dieses Mal nicht zur Wahl. Dennoch muss man nüchtern konstatieren, dass unsere Arbeit hier in der Stadt ganz offensichtlich jedoch nicht so geschätzt wird, als dass sie irgendeinen Einfluss auf das Ergebnis gehabt hätte. Hätten wir die Kitagebühren um das Dreifache erhöht statt sie fast auf Null zu senken, das Ergebnis hätte nicht schlechter ausfallen können. An dieser Stelle muss ich verdammt aufpassen, nicht abwechselnd in riesige Wut auf den Wähler oder in eine tiefe Resignation zu verfallen. Ich hab so gefühlt, fast verbittert. Am Wahlabend, am verkaterten Morgen danach (geht auch ohne Alkohol) und immer mal wieder in den Tagen darauf, wenn wir über die Ursachen und Konsequenzen aus diesem Ergebnis diskutieren und es einfach keine einfachen Antworten und Lösungen gibt. Inzwischen ist eher Leere da und die vorsichtige Erkenntnis, dass destruktive und depressive Gedanken auf Dauer auch nicht helfen.
Klügere Menschen als ich haben in den Tagen seit der Wahl versucht, die Misere der SPD zu erörtern. In einigen Beiträgen wurde schon die letzte Ölung vollzogen, in anderen noch eine Chance gesehen, wenn wir die Groko verlassen und das Personal auf allen Ebenen ersetzen (mit wem auch immer). Die gegebenen Ratschläge widersprechen sich leider nicht selten und eine klare Vorstellung, wo es denn hingehen kann, was passieren muss, damit wir so Politik machen, dass uns die Menschen schätzen, uns vertrauen und uns dann auch wieder wählen, kann ich nicht erkennen. Auch ich finde Olaf Scholz blass und langweilig, seine Politik zudem nicht erkennbar sozialdemokratisch, Andrea Nahles hat zwar ein Herz, aber sie kommt einfach nicht rüber, und wenn ich sie im Fernsehen sehe, bin ich immer versucht, umzuschalten. Und ja, selbst als Anhängerin deutlicher Worte und verständlicher Sprache: Diese Kraftausdrücke sind wohl eher auch nicht mehrheitsfähig. Zusammengefasst: Es ist einfach schwierig, irgendwo Menschen von der SPD zu überzeugen, wenn das Spitzenpersonal noch unbeliebter ist als es Peer Steinbrück jemals war. Aber, es nur auf denen abzuladen, ist zu einfach, denn irgendwie sind die ja dahingekommen. Sie sind gewählt, von uns gewollt, so viele Alternativen selbst beim besten Willen auch außerhalb Berlins nicht ersichtlich.
Ich könnte jetzt versuchen, meinen ehrlichen (gelöschten) Beitrag von vor einigen Wochen noch einmal zu schreiben… ich hatte da einige Aspekte angesprochen, in denen ich Ursachen sehe für die Verdrossenheit mit Politik ganz generell und auch mit uns als SPD. Wenn die Verbundenheit zum eigenen Amt oder Mandat größer ist als die zum Wohl der Partei und sich die Auswüchse solch egoistischer Mechanismen über Jahre und Jahrzehnte verschärfen, es zudem kein Thema gibt, das uns jenseits aller individuellen Machtfantasien und Ambitionen eint und verbindet, die soziale Gerechtigkeit nur mehr eine ausgehöhlte Phrase scheint, die niemand versteht (weil wir nicht erklären, wie sie aussehen und erreicht werden könnte), und wir leider nicht die Partei sind, die Welt und Klima rettet, dann kann ich – nach der initialen Wut auf den undankbaren Wähler, doch auch nachvollziehen, warum es so böse um uns steht. Und dann auch wieder nicht: Denn wir machen an vielen Stellen gute Politik, selbst im Bund. Seit wir mit der Merkel regieren, kommt die einzig spürbare Politik von unseren Leuten. Merkel selbst hatte ja noch nie so den Hang zum Gestalten. Es geht aber erst abwärts, seit sie auch nicht mehr glaubhaft verwalten kann. Was tatsächlich passiert ist (zugegebenermaßen zu wenig), geht auf’s Konto der SPD. Nicht dass es im Zuge diverser Regierungskrisen wirklich medialen Raum für tatsächliche Politik (oder gar sozialdemokratische Erfolge) gegeben hätte, aber wir schaffen es auch noch, am Ende den Schaden davonzutragen bei Unfällen, die wir nicht verursacht, und bei denen wir eigentlich auch gar nicht vor Ort waren. Und ja, wenn ich Horst Seehofer und Markus Söder anschaue und dazu die müde Merkel, dann finde ich 37,2 zu 9,7 % einfach nicht fair. Und drehe mich im Kreis, weil ich über den Punkt der Wut und des fehlenden Verständnisses jetzt irgendwann mal hinweg kommen müsste, um irgendeine sinnhafte Erkenntnis zu gewinnen und dann weiter zu arbeiten.
Es fällt auch so schwer, es nicht persönlich zu nehmen. Ich kann es ja nur für die kommunale Ebene und unsere Fraktion einigermaßen einschätzen, aber es kann nicht daran liegen, dass wir faul sind, oder nicht wollen. Wir sind fleißig. Vermutlich arbeitet keine Fraktion in diesem Rathaus mit solcher Akribie an der Beantwortung der eigenen Anträge, noch bevor sie diese überhaupt gestellt hat. Keiner von uns liegt auf der faulen Haut, wir sind ständig unterwegs (vielleicht zu oft im Ortsverein, aber das ist ein anderes Thema), wir sind besser erreich- und ansprechbar als alle anderen politischen Ebenen. Und dennoch, obwohl wir alles Denkbare tun, 60 Stunden die Woche und mehr: Die Mieten steigen, die U-Bahnen sind voll, die S-Bahn auf der Stammstrecke fährt gleich gar nicht (nicht unsere Schuld, aber auf andere politische Verantwortliche zu verweisen, hat noch nie wirklich geholfen), auf dem mittleren Ring stehen die SUVs und andere Dreckschleudern, die unseren Planeten auf dem Gewissen haben, und überhaupt, der Kitaplatz ist zu weit weg, der Pflegeplatz nicht im Viertel und auch sonst geht es den Menschen dieser Stadt nicht besonders gut. Und: Tatsächlich lässt sich keiner dieser Punkte abstreiten.
Aber die Ursachen sind so komplex, dass die Lösung all dieser Probleme entweder viele Jahre und das Zutun aller politischen Ebenen bräuchte oder es gar keine Lösung gibt. Es ist schwer, sich das einzugestehen. Und noch schwerer ist es, das alles den Wähler*innen zu erklären. Die Menschen draußen verlangen ja schnelle Lösungen und einfache Antworten (Annahme 1). Wie passen da all die nicht schnell lösbaren/ unlösbaren Probleme dazu? Wer soll das wie erklären? Da sind die da draußen eh zu dumm, es zu kapieren (Annahme 2). Naja, selbst, wenn sie es nicht sind, wie transportiert man das über Plakate, YouTube und Twitter? Ich denke, langsam wird deutlich, dass Politik und die Kommunikation dieser zu den Menschen alles andere als einfach ist, jedenfalls wenn die zu vermittlnde Geschichte die real existierenden Probleme, Erfahrungen und Ängste der Menschen in dieser Stadt ernst nimmt und wir gleichzeitig ein Angebot unterbreiten wollen, wie wir mit diesen umzugehen vorhaben.
Im Wahlkampf am Infostand (den ich insofern für sinnvoll halte, als dass er uns den Sorgen und Nöten der Menschen ungefiltert aussetzt) habe ich einige Diskussionen geführt oder erlebt, in denen den Menschen am wichtigsten war, dass ihnen überhaupt zugehört wurde. Es bestand nicht die Erwartung, zumindest nicht von jedem, dass wir sofort jedes Problem lösen. Aber Interesse haben und Ernsthaftigkeit zeigen, verstehen, dass obwohl man 300 Stellen im KVR zugeschaltet hat, die Person dir gegenüber trotzdem sechs Stunden warten musste, und dir ins Gesicht sagst, dass „Sie da doch jetzt auch mal was machen müssen“! Das ist anstrengend, frustrierend, aber vor allem: so wichtig. Natürlich werden meine Kolleginnen und Kollegen und ich nicht mit jedem einzelnen sprechen können, aber dennoch müssen wir versuchen, mit so vielen wie möglich zu reden, auf allen Kommunikationswegen, die es gibt, so oft es geht.
Kleiner Zwischenruf: ist es eigentlich sehr verwerflich, dass ich mich auch mit dem ebenso desaströsen Wahlergebnis der Nürnberger SPD zu trösten versuche? Der Gedanke dahinter: wenn die genauso abgestürzt sind trotz ihrer nahezu absoluten Mehrheit 2014 und ihres superpopulären OBs, dann liegt es nicht an uns hier in München. Dann kann alles anders werden in 2020.
Dagegen spricht leider: unsere Grünen Freunde müssen auch bis dahin keine Regierungsverantwortung übernehmen, nicht in Bayern, nicht in Berlin. Die Rettung der Bienen, jeder Grünfläche, der Bau von tausenden Sozialwohnungen (natürlich ohne Verlust auch nur eines Grashalms), die friedliche Koexistenz von SUV, Radl und Fußgänger und die Vereinbarkeit all dieser Versprechen werden vor der Kommunalwahl keinem realpolitischen Faktencheck mehr unterzogen. Nur zu jammern über nicht ganz leistungsgerechte 31 % wird also nicht genug sein. Wir müssen etwas dagegen setzen. Nur was?
(Jetzt wird der Text schwierig… und dünn.)
Irgendwie muss es uns gelingen, zu erklären, dass diese Stadt nur diese Stadt bleiben kann, wenn alle, die sie mit ihrer Arbeit am Leben halten, die U-Bahn und Bus lenken, im Krankenhaus pflegen, in der Krippe erziehen und bilden, im Bürgerbüro Ausweise austellen, dass all die auch künftig hier ein bezahlbares Zuhause finden. Dass zu große Ungleichheit, bis zum Exzess getriebener Kapitalismus, Gewinne durch Spekulation… und nicht durch Arbeit… dass diese Entwicklungen am Ende auch denen, die viel haben, nicht gut tun werden, denn es wird niemand mehr da sein, der sie umsorgt, pflegt, bedient, am Gärtnerplatz die schönen Blumen pflanzt, auf die sie beim Sun-Downer im Del Fiore blicken. Und wenn wir einen Weg finden, diese Geschichte so zu erzählen, dass sie verstanden werden kann und ankommt, dann müssen wir nur noch einen Weg finden, sie auch so zu erzählen, dass es ein Happy End nur mit uns geben kann.
Und ich sag ganz deutlich, ein Happy End kann es nur geben, wenn man die großen Zukunftsfragen in diese Erzählung einschließt. Denn schmutzige Luft, mit Autos zugestellte Straßen, purer Egoismus und zu viel Bequemlichkeit im Straßenverkehr… all diese Themen brennen jungen Menschen, auch schon meiner achtjährigen Tochter, auf der Seele. Das sind auch keine Luxusprobleme, die man erst ab 100K Jahreseinkommen hat, vielmehr ist die Sorge um die Zukunft dieser Welt eine verständliche, universelle und von uns lange unterschätzte. Rot-Grün war immer eine gute und ist keine überlebte Idee, das Soziale und das Ökologische zu verbinden, den Fortschritt nicht zu Lasten der Arbeitenden, der sozial Schwächeren zu gestalten, das sind Aufgaben, die dringender als je zuvor angegangen werden müssen. Nachdem es Rot-Grün politisch nicht mehr gibt und vielleicht auch auf absehbare Zeit nicht mehr geben wird, und weil zu einer modernen Sozialdemokratie auch die Ökologie gehört, sehe ich hier, auch und vor allem kommunalpolitisch, die komplexe Aufgabe, ohne Anbiedern an eine andere Partei eigene Positionen zu entwerfen, auch wenn’s mal weh tut, weil vielleicht in absehbarer Zeit auch der sozialdemokratische Autofahrer nicht mehr in jede Straße fahren darf. Wenn wir erklären können, warum das für alle besser ist, und nen Weg finden, wie der von uns am Autofahren gehinderte trotzdem ans Ziel gelangt, dann wären wir auch selbst auf einem guten Weg.
Immer zu viel Pathos am Ende meiner Texte. Also jetzt Schluss.