Wo ich herkomme…

Am Vorabend des Tages der Deutschen Einheit vielleicht ein paar Gedanken zu meiner Herkunft. Immerhin habe ich 12 Lebensjahre in der DDR und weitere 12 im dann gegründeten Freistaat Sachsen verbracht.

Eine der frühesten Erinnerungen an meine Kindheit ist die, dass mein einjähriger Bruder sich jeden Morgen unter dem Wohnzimmertisch versteckt hat, weil er nicht aus dem Haus wollte. Rückblickend durchaus nachvollziehbar, denn es war deutlich vor 6 Uhr morgens und er einfach müde. Meine bewundernswerte Mama hatte es aber nicht nur mit ihm zu tun, sondern auch noch mit meiner dreijährigen Schwester und mir, damals 6. Alle mussten wir früh um 6 in Krippe und Kindergarten sein, weil der Bus in den Braunkohletagebau für die Frauen um 6.15 Uhr losfuhr. Dort arbeiteten meine Eltern bis 1988, beide in Vollzeit und das waren damals mehr als 40 Stunden. Der Bus für die Männer fuhr übrigens noch eine Stunde eher.

Diese Episode steht für mich symptomatisch für das, was meine Eltern geleistet haben, jung, ohne jemals zu klagen, sicher oft erschöpft. Aber so war es, und wenn ich sie heute sehe, vor allem meine Mutter, dann kann ich sie nur bewundern, weil sie nie eine der jammernden Ossis war, die man so gerne beschreibt und gerne alle in einen Topf wirft. Meine Eltern haben sich schon vor 35 Jahren Haushalt und Kinder aufgeteilt, gearbeitet, immer mit leerem Konto am Monatsende, ohne, dass wir uns jemals auch nur einen Trabant hätten leisten können, und trotzdem war es ein gutes Leben, auch später, nach der Wende, als meine Mutter permanent gependelt ist, mein Vater sich um uns Kinder gekümmert hat, wenn meine Mama erst nachts nach Hause kam.

Nie haben meine Eltern aufgegeben, wenn ein Standort schloss, dann sind sie eben zu einem anderen gefahren/ gezogen. Das war oft hart, für uns, für sie. Ich erinnere mich eindrücklich an die vielen Abende, an denen ich abends am Fenster stand, ins Dunkle hinaus schaute, um auf meine Mama zu warten. Ich hoffe sehr, dass meine Tochter sich nie so fühlt. Ich hab meine Mama oft vermisst, mir viele Sorgen gemacht, erst recht, nachdem sie sich nach der Wende mit einem (von der Uroma geschenkten alten Trabi) auf der Autobahn überschlagen hatte. Immer ging dann irgendwie alles gut, aber das war sicher nicht die Kindheit, die hier viele hatten, in der die Mutter nach der Schule mit dem gekochten Mittagsessen wartete. Dennoch fühlten wir uns immer geborgen und geliebt. Denn wenn Mama nicht da war, war es Papa. Wenn ich heute manchmal jammere, dass mir alles zu viel ist, denke ich oft an meine Eltern, und dann schäme ich mich fast, denn ich gehe mit einem Kind um 7.45 Uhr aus dem Haus und das auch nur an der Hälfte aller Wochentage.  Easy im Vergleich zu dem, was damals war. Ich weiß, dass es ungerecht ist, aber oft vergleiche ich die gestresste Mutter mit einem Kind in Teilzeit hier in München mit meiner Mama damals und denk mir, was für eine Heldin sie doch war (und ist)! Und versteh nicht, warum viele hier zwar Emanzipation und Gleichstellung einfordern, sie dann aber selbst nicht leben.

Sicher hatten wir auch Glück, meine Eltern waren niemals arbeitslos, sie arbeiten seit 1988 durchgehend für dieselben großen Arbeitgeber, seit 2006 in München. Alle leben wir jetzt hier, auch meine Geschwister. Alle sind gesund, es gibt drei Enkelkinder, wir sind eine Familie, die sich immer gerne trifft, füreinander da ist.

Schon als wir noch in Dresden gelebt haben, waren wir keine Rassisten, wir waren immer weltoffen, bei uns zu Hause wurde jede Meinung ernst genommen, auch die der Kinder. Als meine Schwester sich mit 17 als lesbisch geoutet hat, hat mein kleiner Bruder in seiner ersten Reaktion gesagt: „Kann ich gut verstehen. Ich mag auch Mädchen lieber.“ Dass wir so geworden sind, liegt vor allem an meinen Eltern. Nachdem wir viel Zeit in Krippen, Kindergärten, Schulen und Horten verbracht haben, kann es dort aber auch nicht so schrecklich gewesen sein. Wir mussten nur die Milchnudeln aufessen. Das war wirklich ätzend. Aber ansonsten war es eine gute Kindheit. Aus uns sind vernünftige, gut über die Runden kommende Erwachsene geworden. Ich hab die direkte, manchmal sicher auch ein wenig rabiat-ehrliche Art meiner Mama geerbt, vielleicht überraschend, nachdem man ja in der DDR besser zweimal überlegt hat, was man sagt. Deshalb können wir beide froh sein, dass sie ein Ende fand vor 28 (😅) Jahren. Und wir gut angekommen sind in diesem Deutschland, dank der Kraft und des Mutes meiner Eltern, die nie verzagten, sondern die Chancen, die das neue Land bot, nutzten.

Es gibt viele Ossis wie meine Eltern. Es gibt sie nicht, „DIE“ Ostdeutschen.

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